Trauer verstehen und bewältigen: Ein Ratgeber für schwere Zeiten
Die akute Trauer um einen Verstorbenen wird als tiefes seelisches Leid empfunden. Bei den meisten Menschen verändert sich dieses intensive Gefühl im Laufe der Zeit, die bleierne Schwere lässt allmählich nach. Doch wie kann man mit Trauer gut…
Was genau ist Trauer?
Das Wort „Trauer“ stammt vom althochdeutschen Wort „truren“ ab, was ‚die Augen niederschlagen‘ bedeutet. Es beschrieb zunächst eine äußere Haltung, die als Zeichen von Traurigkeit, Niedergeschlagenheit oder Bedrücktheit galt. Im Laufe der Zeit erweiterte sich die Bedeutung des Wortes und beschrieb mehr und mehr den seelischen Zustand des Schmerzes.
Heute verwenden wir den Begriff „Trauer“ für Gefühle, die durch Verlust und Abschied ausgelöst werden. Trauer bezeichnet den schmerzhaften, aber auch heilsamen Prozess des Loslassens und der Anpassung an eine veränderte Realität – ein komplexer, individueller Prozess, den jeder Mensch anders erlebt. Es gibt kein Patentrezept und keinen festen Zeitrahmen.
Die Phasen der Trauer
Trauer verläuft in Phasen, aber nicht linear. Schock, Wut, Verzweiflung, Depression, Einsamkeit – diese Gefühle können sich abwechseln, ineinander übergehen oder wiederholen. Manche Menschen durchleben alle Phasen intensiv, andere überspringen Phasen oder verharren lange in einer.
Oft wird von einem „Trauerjahr“ gesprochen, einem Zeitraum von 12 Monaten, in dem alle wichtigen „ersten Male“ ohne den geliebten Menschen erlebt werden (z. B. der erste Geburtstag oder das erste Weihnachtsfest). Nach Ablauf dieses Jahres sollte der akute Trauerschmerz langsam nachlassen.
Was wir für uns selbst tun können
Selbst in den dunkelsten Momenten der Trauer trägt jeder Mensch die Kraft zur Heilung in sich. Mit kleinen, bewussten Schritten ist es möglich, den Weg zurück zu sich selbst zu beginnen.
Abschiedsrituale:
Bewusst gestaltete Momente des Innehaltens, in denen man sich ganz auf den Verstorbenen konzentriert, können tröstlich sein. Ein Besuch am Grab, das Anzünden einer Kerze oder das Schreiben eines Briefes an den geliebten Menschen helfen, eine Brücke zwischen dem Trauernden und dem Verstorbenen zu schlagen.
Austausch mit anderen Trauernden:
Selbsthilfegruppen oder Trauercafés bieten die Möglichkeit, Gleichgesinnte zu treffen, die den Schmerz teilen und verstehen. Hier kann man die Erfahrung machen, dass die eigenen Gefühle normal sind. Zudem kann man wertvolle Impulse von Menschen erhalten, die schon länger mit einem Verlust leben. Im digitalen Zeitalter gibt es dafür heute auch zahlreiche Online-Angebote - von virtuellen Gedenkseiten bis zu Social-Media-Gruppen.
Kreative Ausdrucksformen:
Den eigenen Schmerz in künstlerischer Form nach außen zu tragen – sei es durch Schreiben, Malen, Musizieren oder Collagieren – ist eine wunderbare Möglichkeit, Emotionen freizusetzen und zu verarbeiten. Kreativität kann ein guter Weg sein, Trauergefühle zu kanalisieren.
Eigene Kraftquellen anzapfen:
Es lohnt sich, darüber nachzudenken, was einem früher in Krisenzeiten geholfen hat. Ob ein Spaziergang im Wald, ein heißes Bad oder laute Musik – solche positiven Ressourcen sollten jetzt bewusst aktiviert werden. Auch wenn es schwerfällt: Es ist wichtig, schöne Momente zuzulassen. Der Verstorbene hätte gewollt, dass das Leben weitergeht.
Achtsamkeit und Selbstmitgefühl:
In Zeiten der Trauer ist es besonders wichtig, freundlich und nachsichtig zu sich selbst zu sein. Achtsamkeitsübungen wie Meditation oder sanftes Yoga können helfen, sich selbst mit mehr Mitgefühl und Akzeptanz zu begegnen. Auch das bewusste Wahrnehmen von kleinen, schönen Momenten im Alltag trägt dazu bei, langsam wieder ins Licht zu kommen.
Erinnerungen bewahren:
Die Beziehung zum Verstorbenen verändert sich durch den Tod, geht aber nicht verloren. Es kann tröstlich sein, Erinnerungen in einem Album, einer Erinnerungskiste oder einem digitalen Archiv zu sammeln. Das Teilen von Geschichten und Fotos mit vertrauten Menschen schafft einen Raum für liebevolle Erinnerungen.
Anzeichen für „komplizierte Trauer“
Manchmal wird die Trauer so überwältigend, dass sie zu einer dauerhaften Belastung wird und die Betroffenen daran hindert, wieder ins Leben zurückzufinden. Hält die lähmende Trauer auch nach Monaten oder gar Jahren unvermindert an, spricht man von „komplizierter Trauer“.
Die „komplizierte Trauer“ (auch „anhaltende Trauerstörung“ genannt) geht mit anhaltendem emotionalen Schmerz und körperlichen Symptomen einher. Die Betroffenen können sich nicht mehr vorstellen, jemals wieder Freude oder Lebenssinn zu empfinden.
Diese Form der überwältigenden Trauer sollte niemand alleine durchstehen müssen. Wenn mehrere der folgenden Anzeichen auftreten, ist es ratsam, Hilfe zu suchen – beim Hausarzt, bei erfahrenen Trauerbegleitern oder Psychotherapeuten.
- Die Trauer wird mit der Zeit nicht weniger, sondern intensiver
- Selbstvorwürfe, Schuldgefühle oder Grübeleien bestimmen das Denken
- Entfremdung von Freunden und Familie, Rückzug aus dem sozialen Leben
- Sinnlosigkeitsgefühle, Freudlosigkeit, Hoffnungslosigkeit
- Vernachlässigung des Alltags und der Selbstfürsorge (Körperpflege, Ernährung, Tagesstruktur)
- Auftreten von Suizidgedanken
Der Weg zurück ins Leben
Trauer darf so lange dauern, wie es nötig ist – gleichzeitig hat jeder Trauernde ein Recht auf Unterstützung und Entlastung. Es ist wichtig, sich nicht zu scheuen, Hilfsangebote anzunehmen, wenn der Schmerz zu groß wird. Schritt für Schritt ist es möglich, den Weg zurück ins Leben zu finden, ohne die Liebe zum Verstorbenen zu vergessen. Er wird immer ein Teil des eigenen Lebens bleiben.
Es braucht Mut, sich der Trauer zu stellen und gleichzeitig die Tür für neue, positive Erfahrungen offen zu halten. Aber genau darum geht es in der Trauerarbeit: den Schmerz zu verwandeln und ihm einen Platz im Leben zu geben, ohne sich darin zu verlieren.
Autor:
Jörg Zimmerling
Bildquelle:
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